Dienstag, 25. Mai 2010

Made in Húsavík?

Die folgende Geschichte erschien am 07. September 2009 unter dem Titel "Made in Iceland?" bei Iceland-Review online. Es handelt sich dabei um ein wirkliches Ereignis, sagt die Autorin. Und die bin ich selbst.



Haben Sie einen Lieblingsplatz in Island? Einen Ort, den Sie ganz besonders mögen, an den es Sie immer wieder fast magisch zieht? Für mich gibt es zwei dieser ganz persönlichen Lieblingsstellen. Es sind der Berg Snæfellsjökull auf der Halbinsel Snæfellsness im Westen sowie der Ort Húsavík im Norden des Landes. Ich erzähle Ihnen das, weil es für die Begebenheit, die ich Ihnen nun schildern werde, zumindest teilweise von Belang ist. Es könnte nämlich durchaus sein, dass wir bei unserem letzten Aufenthalt in Island auf ein streng gehütetes Familiengeheimnis gestoßen sind.

Auf dem Weg nach Húsavík legten wir einen Zwischenstopp beim Museumsgehöft Grenjaðastadir ein. Während der Besichtigung nahm unser Führer meinen Vater, damals 76-jährig, beiseite und sagte fast flüsternd zu ihm: „Wissen Sie eigentlich, dass Sie meinem vor Kurzem verstorbenen Großvater ganz verblüffend ähnlich sehen?“ Mein Vater wusste es selbstverständlich nicht.

„Aber Sie haben doch bestimmt irgendwelche isländische Vorfahren?“, bohrte der junge Mann weiter, „Sie sehen so typisch isländisch aus.“ Abermals verneinte mein Vater.

Wahrscheinlich hätten wir diese Unterhaltung schnell wieder vergessen, wären wir nicht ein paar Tage später im Museum von Húsavík gewesen. Urplötzlich kamen unsere drei Begleiterinnen ganz aufgelöst und mit wild fuchtelnden Armen auf uns zu gerannt. Fast schrill vor Aufregung riefen sie: „Günter, Günter, da hinten hängt ein Bild, und der Mann darauf sieht ganz genauso aus wie Du.“ Wir befanden uns übrigens gerade in der Seefahrts-Abteilung, die seit 2002 in einer eigens dafür errichteten gläsernen Pyramide untergebracht ist. Bei den Bildern, von denen die Frauen sprachen, handelte es sich um gezeichnete Portraits ehemaliger Fischer aus Húsavík. Lange standen wir vor dem Konterfei des betreffenden Seefahrers und blickten den möglicherweise mit uns verwandten unverwandt an.

Viel später, längst zurück in Deutschland, kamen mir die beiden Erlebnisse wieder in den Sinn. Was, wenn mein Großvater, also der Vater meines Vaters, der Sohn eines Durchreisenden Isländers gewesen ist? Mein Opa war schließlich tatsächlich ein uneheliches Kind, meine Uroma hat zwar jemanden als Vater ihres Sohnes benannt, aber könnte es nicht auch sein, dass...

Dann, ja dann wäre ja auch ich quasi so etwas wie eine Isländerin. Und damit wäre auch eine Antwort darauf gefunden, warum ich mich seit mehr als einem Jahrzehnt so hingezogen zu eben diesem Fischerort in Nordisland fühle. Weil nämlich mein Urgroßvater genau dort, in Húsavík gelebt hat.

Und mein Vater? Auch ihn hat bereits bei seiner ersten Island-Reise die Liebe zu Húsavík gepackt.

Vielleicht ist alles nur ein Zufall. Wie wir herausfinden könnten, ob ein Körnchen Wahrheit in der Angelegenheit steckt, das wissen wir nicht. Aber träumen, träumen werde ich gewiss auch weiterhin davon, dass ich vielleicht von einem echten Isländer abstamme.

(Erschienen am 07. September 2009 bei Iceland-Review online. Der Text MIT den dazugehörigen Fotos findet sich unter http://icelandreview.com/icelandreview/deutsch/alltag/?ew_news_onlyarea=content1&ew_news_onlyposition=6&cat_id=66954&ew_6_a_id=339499)

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